lunes, 14 de abril de 2008

Erster offizieller Unterstuetzerbrief

Sprung ins kalte Wasser

Den ersten Monat habe ich in der Pazifikregion Nicaraguas zugebracht, wo hingegen sich mein Wohn/ und Arbeitsort an der Atlantikküste des Landes befindet. Diese Regionen sind für beide Seiten eine völlig andere Welt – bezüglich Essen, Kultur, und sogar Sprache. Darauf werde ich im weiterenVerlauf dieses Berichtes noch weiter eingehen. Sinn und Zweck meines Aufenthaltes in der Pazifikregion, genauer gesagt im beschaulichen, mittelgroßen Esteli, war insbesondere das Erlernen der spanischen Sprache – bis auf Hallo, Tschüss und einige weitere im Grossen und Ganzen recht nutzlose Brocken konnte ich vorher nämlich gar nichts.

Der vierwöchige Aufenthalt mit täglich vierstündigem Sprachunterricht inklusive Wohnen und Essen mit einer waschechten nicaraguanischen Familie sollte dies ändern, und mir nebenbei eine vergleichsweise sanfte Einführung in die nicaraguanische Kultur bescheren. Die Bedingungen an der Atlantikregion sind nämlich noch eine Spur härter als am eher westlich orientierten Pazifik.

Dennoch sah ich mich bei meiner Ankunft in Nicaragua, besonders in der Hauptstadt Managua, mit einem ordentlichen Kulturschock konfrontiert. Es ist halt doch immer irgendwie anders als man erwartet, und auch wenn es mir jetzt wirklich richtig gut gefällt, hatte ich am Anfang so meine Schwierigkeiten.

Natürlich spielten hierbei auch Dinge wie Abschiedsschmerz und Ungewissheit über ein ganzes Jahr in einer völlig unbekannten Umgebung mit ihren eigenen Sitten, Regeln und Kultur eine große Rolle. Ich wusste zwar, dass Nicaragua das zweitärmste Land Lateinamerikas ist, allerdings sagen derartige Statistiken überhaupt nichts darüber aus, wie sich so etwas anfühlt. In Deutschland gibt es in richtigem Sinne keine Armut – wer dort “arm” ist, der bezieht entweder Hartz IV oder lebt unter einer Brücke, um sich von einer Gesellschaft abzugrenzen, die ihm nicht gefällt.

Richtige Armut

Hier in Nicaragua gibt es richtige Armut. Menschen, die in Verschlägen aus Holzrettern und Wellblech leben, die ihren Kindern zu Beginn des Tages nicht sagen können, ob es am Abend etwas zu Essen geben wird, Menschen für die das Wort Festanstellung völlig unbekannt ist, Menschen ohne jegliche soziale Sicherheit. Es gibt hier sehr viele Menschen, die sich lediglich als Tageloehner ueber Wasser halten, taeglich auf Gelegenheit fuer irgendeine koerperliche Arbeit hoffen oder jeden Tag versuchen, auf der Strasse irgendwelche Sachen zu verkaufen und sich damit ein paar Pesos zu verdienen.

Dementsprechend gibt es in diesem Land viele heruntergekommene Viertel, in den Strassen liegt viel Dreck herum. Das liegt allerdings wohl vor allem daran, dass es hier so gut wie keine oeffentlichen Abfalleimer gibt, Muell wird meist einfach auf die Strasse geworfen. Etwas wie eine Muellabfuhr gibt es wohl in groesseren Staedten, in meinem Einsatzort Puerto Cabezas sowie in kleineren Orten allerdings nicht, und auch bevorzugen viele Staedter die Muellentsorgung durch Verbrennung.

Land und Leute

Die Armut ist nicht zuletzt auf die traurige Geschichte des Landes zurueckzufuehren. Auf die Kolonialherrschaft der Spanier am Pazifik und der Engländer am Atlantik folgte die Dynastiendiktatur der Somoza-Familie, und auf die Revolution der linken sandinistischen Partei ein langer und blutiger Krieg, der erst Ende der 80er Jahre sein Ende fand.

Nicaragua ist ein kleines Land, wenn auch das größte in Zentralamerika. Es hat etwa fuenf Millionen Einwohner, die sich zum Grossteil auf die Ballungsgebiete im Sueden und auch einige groessere Staedte im Norden der Pazifikregion verteilen. Am Atlantik gibt es eigentlich nur zwei bedeutende Staedte, mein Einsatzort Puereto Cabezas im Norden, und die Stadt Bluefields im Sueden. Über den restlichen Teil des Landes erstrecken sich kleinere, oft indigene Dörfer und Gemeinden, so genannte comunidades.

Als helhaeutiger Europäer ist man hier in vielen Teilen des Landes eine Rarität, man wird eigentlich immer als gringo (oft abwertend gemeinte Bezeichnung für Nordamerikaner), blanco (“Weißer”) oder chele (in etwa “Hellhäutiger”) erkannt. Gewoehnungsbeduerftig fuer mich war, dass die Leute hier diese Erkenntnis sehr oft durch laute Zurufe der eben genannten Begriffe zum Ausdruck bringen. Das kann zwar boese gemeint sein, ist es aber oft ueberhaupt nicht. In Deutschland würde so etwas sofort als rassistische Beleidigung gelten, hier ist das völlig normal, und so werden auch hellhäutige Einheimische chele genannt oder etwas beleibtere schlicht gordo (“Dicker”).

Die Menschen sind in allen Teilen des Landes sehr offen und herzlich, unter Fremden herrscht nicht die selbe Distanz wie in Europa. Wenn man der spanischen Sprache maechtig ist (mit Englisch kommt man hier nicht weit) kann man sehr leicht mit den Menschen ins Gespraech kommen, und die Nicas sind im allgemeinen aeusserst neugierig auf fremde Kulturen. Die meisten Menschen sind sehr gastfreundlich, vermieten oft Zimmer in ihren Haeusern und laden gerne zum Essen ein, fuer ein kleines Schwaetzchen hat eigentlich jeder immer Zeit.

Ueberall herrscht ein gehobener Laermpegel, in der Strasse droehnt Musik aus jeder Ecke, es wird viel gehupt und gedraengt im Strassenverkehr, in den Bussen laeuft immer Musik und in den Bars und Diskos meist so laut, dass es schwer faellt, sich zu unterhalten, ohne sich anzubruellen.
Soviel zu den ersten Eindruecken - dazu sei vermerkt, dass man sich an das alles wirklich unheimlich schnell gewoehnt und auch das, was auf den ersten Blick negativ erscheint bald auch irgendwie dazu gehoert.

Reis und Bohnen

Traditionell ernaehrt man sich hier ueberwiegend von Reis und roten Bohnen, besonders die aermeren Leute. Beides mit viel Oel in der Pfanne vermischt und angebraten nennt sich dann gallo pinto, das nigaraguanische Nationalgericht. Dazu gibts dann meist ein Stueck Fleisch (Huhn, Rind oder Schwein - eigentlich immer sehr lecker gewuerzt) und repollo, Weisskohl. Natuerlich gibt es auch noch viele andere Gerichte wie tacos und enchiladas (mit Fleisch und Gemuese gefuellte Teigtaschen), platanos (Kochbananen), sopa de pollo (Suppe mit Haehnchen) oder frito (frittiertes Haehnchen und frittierte Kochbananen). Ueberhaupt moegen die Nicas ihr Essen gerne frittiert oder zumindest mit viel Oel gebraten.

Am Pazifik gibt es in der Regel eine größere Auswahl, in den Restaurants wie auch den Supermärkten, und dort essen die Leute auch gerne mal einen Hamburger, und auch größere US-amerikanische Fastfood Ketten haben ihren Weg hierher gefunden. Diese gibt es am Atlantik, zumindest in und um Puerto Cabezas überhaupt nicht, dafür viel Fisch, Meeresfrüchte und Kokosnüsse. Oft verwenden sie hier daher Kokosmilch zum Kochen, so hat das gallo pinto hier zum Beispiel einen leichten Kokosgeschmack. Was ich hierbei vorher gar nicht wusste - die Kokosmilch ist nicht schon fertig in der Kokosnuss enthalten, sondern lediglich eine durchsichtige, etwas säuerlich schmeckende Flüssigkeit. Die Milch entsteht, indem man das Fruchtfleisch der Kokosnuss raspelt und dann in Wasser knetet, das Wasser verfaerbt sich und das Fruchtfleisch wird entfernt. Insgesamt eine ziemlich schweisstreibende Angelegenheit.
Es gibt zwar einige verschiedene Gerichte hier in Nicaragua – allerdings bei weitem nicht die selbe Vielfalt wie in Europa. Aber satt wird man hier auf jeden Fall.

Hablas español?

Nach anfänglicher Frustration (in einer Familie zu leben ohne mit dieser kommunizieren zu können ist nicht unbedingt ein Vergnügen) habe ich mich dann recht schnell in die Sprache eingefunden (nicht zuletzt Dank vorher vorhandener, jetzt aber wohl hauptsächlich durch spanische Wörter ersetzter Französischkenntnisse) und meine Familie ins Herz geschlossen.

Die Sprachschule war effektiv und abwechslungsreich und hat mir meistens Spaß gemacht. Die Lehrerinnen waren allesamt sehr nett, offen und geduldig – waschechte Nicaraguanerinnen eben. Es wurde sehr auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler eingegangen, uns so bekam ich als blutiger Anfänger sogar Einzelunterricht.
Die Gastfamilie wurde über die Sprachschule organisiert, welche dem Organismus „Los Pipitos“ angehört. Diese Organisation kämpft für eine bessere Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Gemeinden und die Gesellschaft allgemein. Familien mit behinderten Kindern haben es bei uns schon schwer, aber in einem armen Land wie Nicaragua noch einmal deutlich schwerer. Der Organismus berät, betreut und hilft den betroffenen Familien, sucht aber auch den Kontakt zu Schulen und anderen staatlichen Organisationen. Auf dem gleichen Gelände wie die Sprachschule befinden sich Einrichtungen wie beispielsweise eine Werkstatt, wo den Behinderten die Gelegenheit gegeben wird, etwas sinnvolles zu tun, anstatt sich zuhause zu verstecken. Die Organisation arbeitet unter anderem außerdem in der Aufklärung der Bevölkerung.
Alle Einnahmen durch die Sprachschule kommen „Los Pipitos“ zugute.

Managua zum Zweiten

Nach vier Wochen Sprachkurs wird es Zeit, zu meiner Arbeitsstelle nach Puerto Cabezas aufzubrechen. Bevor es aber dorthin losgeht, legen wir noch einen mehrtägigen Zwischenstopp in der Hauptstadt Managua ein. Diesen benötigen wir, um letzte Formalitäten unseres Visums zu klären, uns noch einmal gründlich von einem Arzt durchchecken zu lassen und letzte Besorgungen zu machen, bevor es ab nach Puerto Cabezas geht. Dort ist die medizinische Versorgung nämlich deutlich schlechter als in der Pazifikregion, und auch sind hier viele Dinge sehr schwer oder oft auch überhaupt nicht zu bekommen – in Managua hingegen kann man eigentlich alles finden, wenn man nur lange genug danach sucht.

Bei unserem nunmehr zweiten Besuch in der Hauptstadt sind wir angenehm überrascht – beim ersten mal noch schockiert über die Andersartigkeit, fühlen wir uns hier jetzt sogar richtig wohl. Das liegt natürlich auch nicht zuletzt an der Gesellschaft unserer beiden in Managua stationierten Freiwilligendienst – Kollegen, die wir von einem Seminar in Deutschland kennen und die uns während unseres Aufenthaltes bereitwillig in ihrem Haus aufnehmen.

Die Ruhe nach dem Sturm

Kurze Zeit nachdem wir in Estelí angekommen sind, ereignet sich etwas, mit dem wir nicht gerechnet hätten. Wahrscheinlich wissen alle von Ihnen aus Zeitung, Radio und Fernsehen, von dem Hurrikan „Felix“, der mit Geschwindigkeiten von über 250 km/h die Atlantikküste Nicaraguas verwüstet hat.

Schon beim Landeanflug unseres Fliegers kann man die vielen abgeknickten Bäume rund um meinen zukünftigen Arbeitsort erkennen. In der Stadt ist bei unserer Ankunft auf den ersten Blick eigentlich alles relativ normalisiert, allerdings bemerkt man bei genauerem Hinsehen immer häufiger kaputte Häuser, abgeknickte oder umgefallene Bäume oder die vielen Menschen, die vor den Lagerhallen der Hilfsgüter Schlange stehen. Viele von ihnen haben einen langen Weg aus ihren Gemeinden auf sich genommen.

In vielen umliegenden Dörfern und Gemeinden sieht es schlimmer aus als in der Stadt, sie sind meist ohnehin schon arm, und dann zerstörte der Hurrikan noch ihre Häuser, Felder und Boote – viele haben die Fischerei als Lebensgrundlage verloren, und wer sein Leben nicht schon nicht schon auf dem Meer verloren hat, findet sich dieser nun beraubt. Eine monatelange Ernte ist vernichtet. Die Katastrophenhilfe gestaltet sich schwierig, viele der betroffenen Gemeinden sind sehr schwer zu erreichen. Die Atlantikküste ist die ärmste Region eines ohnehin schon armen Landes – ein Unwetter wie dieses ist für sie schlimmer, als man sich das als unbeteiligter Europäer vorstellen kann.

Zurück in die Steinzeit?

Die Lebensverhältnisse in Puerto sind einfach, und der Sturm hat sie nicht gerade verbessert. Auch zwei Monate nach dem Hurrikan merkt man in Puerto die Nachwirkungen in allen Lebensbereichen noch deutlich: Strom- und Telefonleitungen sind defekt, Internetcafes geschlossen, Nahrungsmittel teurer geworden. Ganze Straßen sind trotz Laternen unbeleuchtet auch Monate nach dem Unwetter unbeleuchtet. Auch unser Haus ist bei unserer Ankunft aufgrund des Sturmes ohne Elektrizität – dass das für drei ganze Wochen so bleibt, liegt allerdings nicht am Strom, sondern vielmehr an der Mangelwirtschaft der Atlantikregion und der haarsträubenden Organisationsfähigkeit vieler Menschen hier. Sehr schnell merke ich – in Nicaragua, speziell am Atlantik, geht so einiges langsamer.

Fließendes Wasser ist eine feine Sache, für die meisten Menschen in Puerto aber nicht zugänglich. Wasser gibt es aus Brunnen oder Regentonne, so auch für uns. Unser Haus liegt auf einem großen Gelände der Iglesia Morava, quasi unserem Arbeitgeber hier in Puerto. Auf diesem Gelände gibt es unter anderem eine Wasseraufbereitungsanlage – dass wir hier umsonst Trinkwasser beziehen, ist ein echtes Privileg.

Man kann auch ohne Strom und fließendes Wasser leben, allerdings sind wir dann doch sehr froh, als die Stromleitung endlich repariert wird – hier wird es nämlich schon um 18 Uhr dunkel, und ohne Licht kann man dann nicht mehr allzu viel machen, außer sich schlafen zu legen. Außerdem ist ein Kühlschrank keineswegs unnötiger Luxus, wie wir bald feststellen. Und auch wenn im Moment nur zwei der Steckdosen funktionieren – so ganz ohne ist auch nicht das Wahre.

Zu sehr sollte man sich allerdings nicht an den Strom gewöhnen, und das fällt auch nicht unbedingt schwer. Zeitweise fällt der Strom täglich aus, oft mehrmals und für mehrere Stunden, und mit Vorliebe gegen 17 Uhr, gerade dann wenn es anfängt dunkel zu werden. Unser Riesenpaket Kerzen aus der stromlosen Zeit ist also keineswegs nutzlos.

Kaisa miskitu aisaya – Lass uns Miskitu reden

Alltagssprache ist hier an der Atlantikküste nicht unbedingt Spanisch, häufig hört man die indigene Sprache Miskitu. Das Miskitu Volk macht hier in Puerto etwa 70 Prozent aus, dazu kommen ca. 20 Prozent Kreolen. Und den Rest machen Mayangas und Sumo, weitere kleinere indigene Völker sowie Spanischsprachige unter sich aus. Spanisch ist zwar Amtssprache, und eigentlich jeder beherrscht sie hier in der Stadt auch. Dennoch wird hier viel Miskitu gesprochen, den die Angehörigen dieses Volkes legen großen wert auf ihre Kultur und Sprache. Für uns ist das nicht immer ganz eifach, viele Besprechungen und Konferenzen finden auf Miskitu statt – anders als die Spanische völlig anders als die gängigen europäischen Sprachen. Auch sprechen einige untereinander viel Miskitu und nehmen wenig Rücksicht auf an Gesprächen beteiligte, die kein Miskitu sprechen.Wir versuchen, uns die Spache selbst ein wenig beizubringe, allerdings ist das nicht einfach, und einen qualifizierten Lehrer zu finden ebenso wenig.

Überfall

An einem Donnerstag Abend werden wir zum ersten mal in Nicaragua, eigentlich zum ersten mal überhaupt, auf der Straße überfallen werden. Allerdings sollte man ab einer bestimmten Uhrzeit einfach nicht mehr zu Fuß gehen, zumal ein Taxi nicht mehr als 50 Cent kostet. Und auch wenn das zu Fuß gehen viele Male gut gehen kann, irgendwann kann man einfach Pech haben. Zwei junge Typen überfallen mich und meine Mitfreiwillige Swantje auf dem Nachhauseweg. Einer hält Swantje eine Machete an die Kehle, während der andere von mir Geld verlangt. Und auch wenn uns hinterher in Gesprächen mit Freunden und Bekannten deutlich wird, dass das alles halb so wild ist, und die Machete in der Regel nur dazu dient, Respekt einzuflößen – einen ordentlichen Schreck tragen wir dennoch davon. Aber einmal ist immer das erste mal, und fürs nächste Mal wissen wir jetzt besser bescheid, wie man sich in so einer Situation verhält.
Die Leute, die so etwas machen, sind in Puerto meist Jugendliche, und sie haben fast immer Drogenprobleme. Ihnen ist egal, was sie klauen und wen sie beklauen, und was das für Konsequenzen für sie haben könnte. Hauptsache sie kommen an den nächsten Rausch.

Hausfieber

Generell muss man hier Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, da die meisten Menschen hier einfach sehr arm sind, und was man unbewacht liegen lässt, ist in der Regel weg. Man muss darauf achten, die Fenster stets vollständig geschlossen zu halten, stehen diese nur einen Spalt offen, kann es sein, dass sich jemand mit einem langen Stock irgendetwas angelt, zum Beispiel Kleidungsstücke. Oft ist den Leuten völlig egal, was sie klauen, und so wurde Freunden von uns etwa ein herumliegendes Vorhängeschloss geklaut, ohne dass die Diebe dafür einen Schlüssel besitzen. Die Regentonne lässt man am Besten auch nicht unbewacht stehen, und auch die Außenbeleuchtung unseres Hauses wurde Stück für Stück abmontiert.

Stets sind wir in Sorge um unser Haus, wenn dieses unbewacht ist. Zwar gibt es in der Nacht einen Wachmann, der die Klinik bewacht, welche sich im selben Gebäude wie unser Haus befindet, und unter der Woche ist tagsüber die meiste Zeit Klinikbetrieb. Aber wenn das Haus am Wochenende oder wenn wir auf Reisen sind unbewacht ist, lädt das zum Einbruch ein, gerade tagsüber da, das Haus etwas abgelegen und nicht in einem Wohngebiet liegt. Unsere Vorgängerinnen hatten massive Probleme mit Einbrüchen. Wir arbeiten daran, das Haus sicherer zu machen, haben uns bereits ein neues, ziemlich massives Vorhängeschloss gekauft. Ein Problem stellt allerdings noch die Hintertür des Hauses dar – hier muss dringend etwas gemacht werden, den das ist eine dünne Holztür, lediglich gesichert durch einen kleinen Riegel. Es ist jedoch sehr schwer, hier in der Hinsicht etwas zu erreichen, die Leute von der Kirche versprechen uns zwar, uns dabei zu helfen, die Situation im Haus zu verbessern, tatsächlich bekommen wir aber kaum Unterstützung. Es ist allerdings schwierig, sich selbst um alles zu kümmern, da die Dinge hier einfach anders funktionieren als in Deutschland – es gibt keine gelben Seiten, wo man sich die Nummer eines Schlossers heraussucht. Diese Strukturen zu durchschauen, wie solche Dinge im allgemeinen funktionieren, da sind wir noch dabei.

Das Problem mit der Arbeit

Dieser Bereich ist bisher der unbefriedigendste meines Aufenthaltes, und neben der Sache mit der Kriminalität das einzige, was mich hier wirklich stört. In zwei Monaten habe ich nur selten die Gelegenheit bekommen, etwas in meinen Augen sinnvolles zu tun, und das ärgert mich richtig. Ich habe einen weiten Weg auf mich genommen, und bin bereit, ein Jahr lang ohne effektive Bezahlung hier zu arbeiten, um etwas zu machen, das den Menschen hilft, denn wie ich schon sagte, es gibt viel Armut, viele Bedürftige. Und ich mache das auch wirklich gerne.

Die Iglesia Morava, die moravische Kirche, welcher die überwiegende Mehrheit der Menschen hier angehört, ist sozusagen unser Kooperationspartner, unser Arbeitgeber. Wir wohnen in einem Haus, das diese uns zur Verfügung stellt, und legen unsere Arbeitskraft in ihre Hände. Allerdings weiß die Leitung der Kirche das zum Großteil nicht zu schätzen und kümmert sich herzlich wenig um uns, sei es wenn wir Probleme mit dem Haus haben, oder eben, wenn es darum geht, uns in arbeitstechnisch zu integrieren.

Ich bin zwar bezüglich der Arbeitszeit ausgelastet, ich bin von Montag bis Freitag jeweils von 8.00 bis 12.00 und von 14.00 bis 17.00 Uhr im Dienst, und am Wochenende sind auch immer Aktivitäten der Kirche, an denen wir mal mehr, mal weniger freiwillig teilnehmen.
Unter der Woche ist mein Arbeitsplatz bisher das Zentrum „La Esperanza“, welches Klinik, Bäckerei, Blockfabrik für Bausteine und Nähmaschinen sowie eine kleine Bibliothek und ein paar veraltete Computer besitzt.
Blockfabrik und Bäckerei sind allerdings zur Zeit außer Betrieb, wohl wegen des Hurrikans, was ich allerdings überhaupt nicht nachvollziehen kann, da die Lage hier in Puerto so langsam ziemlich stabilisiert ist, und obwohl immer noch der Notstand ausgeschrieben ist und auch noch Hilfsgüter verteilt werden, sehe ich keinen Grund, den Betrieb dieser Einrichtungen nicht wieder aufzunehmen.
Die „Bibliothek“ bestand zu Beginn lediglich aus einem Regal mit einem Haufen wild durcheinander gewürfelter Bücher, Schulbücher, Sachbücher und Romane, darunter einige ganz brauchbare.

Ein Teil meiner Arbeit bestand bisher darin, diese Bücher zu ordnen und zu katalogisieren. Mir schwebt vor, daraus eine richtige Bibliothek zu machen. Das gestaltet sich hier allerdings schwieriger als in Deutschland, denn selbst dort ist es schwer, das Ausleihen zu kontrollieren – hier ist es so gut wie unmöglich, die rechtliche Kontrolle fehlt einfach, etwas wie Mahnbriefe für derartige Fälle kann man hier absolut vergessen. Also kann der Büchereibetrieb nur unter Aufsicht innerhalb des Zentrums erfolgen, Bücher entleihen ist nicht möglich – die Bibliothek würde sich Stück für Stück in Luft auflösen. Das Wort „leihen“ ist hier oft synonym mit „schenken“.

Meine Arbeit im Allgemeinen jedoch war bisher die eines Hausmeisters und Sekretärs – Listen mit Bevölkerungsdaten oder Medikamenten abtippen, einige körperliche Arbeiten wie zum Beispiel einen Wassertank aufstellen, ein Inventar des Zentrums anfertigen – um nur die sinnvolleren und angenehmeren Seiten zu nennen. Oft besteht die Arbeit einfach nur aus herumsitzen.

Das alles war für den Anfang in Ordnung, um in die Sprache und die Kultur hineinzufinden, zu verstehen, wie die Dinge hier gemacht werden und einen Einblick zu bekommen, wie Leben und Arbeit hier funktioniert. Aber jetzt habe ich gehörig die Nase voll davon, und es wird Zeit für uns, den Freiwilligendienst hier in Puerto Cabezas gehörig umzukrempeln – wir sind nämlich schon der vierte Jahrgang Freiwillige hier, und immer schon bestand das Problem der unzureichenden Einbindung der Freiwilligen. Vor einigen Tagen hatten wir ein sehr direktes und deutliches, aber gutes und offenes Gespräch mit einem der Verantwortlichen in dem wir klar gemacht haben, dass sich etwas ändern muss. und wir werden uns diesem Problem in der nächsten Zeit intensiv widmen, um auch für unsere Nachfolger eine bessere Basis zu schaffen. Wichtig ist hierbei besonders die Kooperation mit gemeinnützigen Organisationen, von denen es hier einige gibt und die echt gute Dinge machen, aber denen gegenüber die Kirche noch zu verschlossen ist.Es tut sich was, und es gibt Leute, die den Freiwilligendienst ernst nehmen und als wichtig ansehen, und in die Hände derer muss dieser Dienst gelegt werden, um etwas sinnvolles zu erreichen.

Alle Kräfte für den Hurrikan

Laut Administration der Kirche, die einen Teil der Hilfsgüterverteilung übernimmt, werden „alle Kräfte für den Hurrikan benötigt“. Das kann ich allerdings nicht nachvollziehen, da es sehr viele Mitarbeiter der Kirche gibt, die den ganzen Tag kaum etwas tun, und für die Hilfsgüter und übrige Hurrikanhilfe ist mehr als genug Personal vorhanden.
Auch wir beiden Freiwilligen werden kaum in die Hurrikanhilfe einbezogen – etwas, was mir absolut unbegreiflich ist.
An einem Tag haben wir bisher an der Verteilung der Hilfsgüter in den comunidades teilgenommen, und das war an sich eine anstrengende schöne Arbeit, säckeweise Grundnahrungsmittel auf einen LKW verladen und diese dann unter der Bevölkerung in den abgelegenen Gemeinden vereilen.
Allerdings war das bisher nur an einem Tag, und das ganze wäre auch problemlos ohne uns gelaufen – die Helfer bekommen Geld für diese Arbeit, daher sind diese Arbeiten sehr begehrt, und es findet sich immer jemand, der das macht.

Lichtblicke

Einige Lichtblicke gibt es dennoch in unserer Arbeit, und so werden wir ab Januar im Gefängnis Englischunterricht geben, und eventuell auch noch andere Aktivitäten dort vornehmen, je nachdem wie gut die Sache funktioniert. Zur Einführung waren wir vor einiger Zeit im Gefängnis zu Besuch. Die Bedingungen dort sind wirklich katastrophal, zwölf Leute zusammen in einer engen Zelle, dunkel und heiß ist es darin. Toilette und Bad sind kaum voneinander zu unterscheiden, beide direkt nebeneinander und lediglich ein Stück Betonplatte mit Loch und einer etwa einen halben Meter hohen Betonwand außen herum, Privatsphäre gibt es nicht, Bewegen kann man sich in der Zelle kaum. Essen, schlafen und Verrichtung der Notdurft geschieht alles im selben, winzigen Lebensraum.
Außerdem bin ich mit meinem derzeitigen Chef Amilcar, dem Direktor der Esperanza dabei, ein Projekt zur Rekonstruktion und Neubepflanzung ins Leben zu rufen. Es gehr dabei um Dächer und Neupflanzung von Nutzbäumen wie Kokospalmen, Orangen- und Mangobäumen. Das läuft allerdings schleppend an, wie eben so einiges hier – die Organisation der Leute ist einfach meist sehr schlecht, die Planung ist zu vage und sie wollen immer mehrere Dinge gleichzeitig machen, und dabei gelingt dann keines so richtig.

Reise nach Sandy Bay

Einige Tage habe ich in der comunidad Sandy Bay verbracht, mit am heftigsten vom Sturm getroffen wurde. Die Reise trat ich mit AJECIM, der Jugendorganisation der Kirche an. Unser Plan war, zuerst einigen Bedürftigen Hilfe bei der Säuberung ihrer Grundstücke zu helfen – auch mehr als zwei Monate nach dem Hurrikan sieht die Gemeinde noch sehr schlimm aus, viele zerstörte, dächerlose Häuser, viele Umgefallene Bäume und anderer Unrat bestimmen das Bild. Wir haben Motorenöl und Benzin mitgebracht, um mit dort vorhandenen Motorsägen umgefallene Bäume zu zerkleinern und dann zu entsorgen. Jedoch wird uns ein Strich durch die Rechnung gemacht – jemand ist in der Nacht gestorben, und in den comunidades ist es Brauch, am Folgetag nicht zu arbeiten. Also sind wir gezwungen, Öl und Benzin dazulassen, in der Hoffnung dass die Einwohner die Sache selbst in die Hand nehmen.

Das ist nämlich ein großes Problem hier, sowie in vielen anderen comunidades – die Erwartungshaltung vieler Menschen. In Sandy Bay hat sich wenig getan seit dem Hurrikan. Die Menschen warten. Warten auf die Regierung, auf Hilfsorganisationen, dass sie ihnen ihre Häuser wieder aufbauen, die Gemeinde wieder in Ordnung bringen. Und das wird nicht passieren, nicht hier in Nicaragua. Sandy Bay ist eine verhältnismäßig wohlhabende comunidad, viele hätten die finanziellen Mittel etwas zu tun. Dennoch ziehen es viele vor zu warten. Dieses Problem ist ein weiterer Teil der Intention dieser Reise, den Leuten versuchen zu vermitteln, dass das so nicht funktionieren wird. In einem Jugendtreffen in der Kirche versuchen wir, das zu vermitteln. Meine Aufgabe hierbei ist, den Leuten zu erzählen, wie es in Deutschland im Katastrophenfall zugeht – und dass auch hier nicht alles von selbst geschieht. Ich erkläre ihnen am Beispiel Hochwasser, dass die Leute hier Versicherungen abschließen, was es in den Gemeinden an der Atlantikküste nicht gibt, und dass diejenigen, die keine Versicherung haben, entweder Arbeiter bezahlen oder selbst anpacken müssen, um ihre Häuser wieder in Ordnung zu bringen – und sich nicht allein auf Spenden, Regierung und Hilfsorganisationen verlassen können.

Glaubenssache

Sehr schockiert war ich zu Beginn darüber welch großen Einfluss der Religion auf unseren Freiwilligendienst hat. Ich wusste zwar, dass ich dort mit einer Kirche zusammenarbeiten werde, und obwohl ich nicht besonders religiös bin, so war das doch in Ordnung für mich – so wie ich die evangelische Kirche aus Deutschland kenne. Ich habe früher in Deutschland ab und zu bei verschiedenen Aktivitäten von der Kirche aus teilgenommen, wie zum Beispiel Jugendkreis oder Freizeiten, und das war eigentlich immer locker und lustig, und niemals unangenehm.

Die evangelische Kirche hier ist in meinen Augen sehr konservativ, für mich deutlich zu konservativ, was sich negativ auf ihre eigene Arbeit und die Zusammenarbeit mit uns auswirkt.
Die Kirche ist sehr altmodisch und hat strenge Regeln. Sie verbietet etwa Dinge wie Rauchen, Trinken, Ausgehen, Tanzen, Würfel spielen und Sex vor der Ehe, um nur einige zu nennen. Frauen dürfen den Gottesdienst nur mit Rock betreten, wer eine Hose anhat, muss draußen bleiben, für Männer mit kurzen Hosen gilt das Gleiche – das wird an der Eingangstür kontrolliert.
Viele brechen die Regeln trotzdem oder umgehen sie indem sie etwa sehr früh heiraten und dann immer mindestens 3 Freundinnen gleichzeitig zuzüglich der Ehefrau haben. Was bei diesen Leuten aber oft trotzdem bleibt, ist eine verlogene Scheinheiligkeit.

Mehrmals im Monat finden sogenannte encuentros statt, das soll so etwas wie Jugendtreffen sein, was ja an sich eine tolle Sache wäre. Allerdings ist das Endtäuschenderweise nicht mehr als ein etwas lockerer Gottesdienst, der mindestens drei Stunden lang dauert. Diese Treffen finden immer in einer Kirche statt, die Jugendlichen kommen, setzen sich in die Bänke, schauen sich stundenlang das immer mehr oder weniger gleiche und wenig abwechslungsreiche Programm an, das zudem auch noch auf Miskitu ist, und gehen danach sofort nach Hause. Alles ist sehr dogmatisch und überchristlich, gesellschaftliche Themen werden eigentlich überhaupt nicht angesprochen.

Erster Fazit

Trotz aller negativer Erfahrungen überwiegen die positiven Aspekte eigentlich immer: Man lernt viele unheimlich nette und offene Menschen kennen, und alle Erfahrungen egal ob positiv oder negativ sind unglaublich wertvoll – manchmal letztere sogar noch mehr als erstere. Und auch wenn es hier nicht immer einfach ist, würde ich diese Erfahrungen gegen nichts in der Welt eintauschen. Dieser Dienst bringt mir persönlich sehr viel, und wir werden alles daran setzen, ihn so gut wie möglich zu gestalten, damit sein ganzes Potential ausgeschöpft werden kann – nicht nur für uns, sondern auch für alle, die nach uns kommen. Ein Freiwilligendienst ist eine super Sache, und ich kann jedem nur empfehlen, so etwas zu machen.

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