Kokospalmen, Sandstrand und eine harmonische Ruhe - trotz mehr als tausend Konferenzbesuchern. Wawa Bar ist ein paradiesischer Flecken Erde. Die ansonsten sehr schön und harmonisch verlaufene Jahreskonferenz von AJECIM, der Jugendorganisation der moravischen Kirche, wird durch ein äußerst merkwürdiges Ereignis überschattet. Die Miskitus nennen das Phänomen „Crizi Siknis“. Miskitu ist stellenweise stark vom Englischen beeinflusst, das macht die Übersetzung dieses Wortes relativ leicht. Anders als an der Pazifikküste des Landes, oder auch den meisten anderen Teilen Lateinamerikas, hatten die Spanier hier keinen Erfolg bei ihren Eroberungen. „Crizi Siknis“ - „Verrückte Krankheit“. Seinen Namen trägt dieses Phänomen zurecht. Betroffen davon sind fast ausschließlich die weiblichen Teilnehmer der Konferenz. Die Erkrankte verfällt in eine Art Wahn, bekommt Schreikrämpfe, schlägt wild um sich, versucht davon zu laufen. Die Miskitus glauben, ein Hexer mit schwarzem Buch befindet sich im Dorf und betreibt dunkle Magie im Namen des Teufels. Wen diese Krankheit erfasst hat, der wird überwältigt und auf einer Matratze festgehalten, bis der Spuk vorbei ist. Dazu sind meist mehrere Helfer nötig. Der Betroffene dreht und windet sich, verkrampft den ganzen Körper, schlägt um sich. „Wenn man den Erkrankten nicht festhält, rennt er weg, bis in Berge“, erklärt mir ein befreundeter Konferenzteilnehmer. Ein Mädchen hat angeblich bereits versucht, aus dem Fenster zu springen – ausgerechnet aus einem der wenigen zweistöckigen Gebäude in Wawa Bar. Manche beginnen auch zu reden. Einige bloß wirres Zeug, andere geben Informationen über den Hexer und seine Absichten preis. Einen großen schwarzen Hut soll er tragen, siebzig Personen sollen innerhalb der Konferenz von der Krankheit erfasst werden. Manche rufen angeblich auch die Namen derjenigen aus, welche die Krankheit als nächstes überkommt. Ein Junge mit dem Spitznamen „Brujo“ – zu deutsch „Hexer“ – mischt eine Essenz aus Knoblauch, einem blauen Pulver, einigen Wiesenkräutern und Fluorwasser zusammen. Das wird den Betroffenen dann auf Gesicht und Brustkorb aufgetragen. Die Erkrankten halten ihre Gefährten die ganze Nacht wach.
Am Ende der Konferenz sind keine siebzig Personen von der „Crisi Siknis“ betroffen. Auch ist nicht jeder, dessen Name genannt wurde, daran erkrankt. Schwarzes Buch, ein Hexer, der Teufel? So richtig passt das alles nicht in ein westliches Weltbild. Anicia Marley Matamoros, Direktorin der Abteilung „Preparatoria“ an der Universität HURACAAN in Puerto Cabezas meint: „Diese Krankheit ist psychologischen Ursprungs und kulturell bedingt“. Die Universität hat zu diesem Thema Untersuchungen angestellt. Trotzdem, das Phänomen wirft einige ungeklärte Fragen auf. Wieso erfasst die Krankheit so viele Personen auf einmal? Die meisten Menschen der Atlantikküste bleiben bei ihren übernatürlichen Erklärungen. Sirenen im Meer, nachts umherirrende Dämonen und die Geister der Toten, die in der Nähe des Friedhofs ihr Unwesen treiben – all dies für uns Aberglaube, die Menschen hier aber nehmen das zum Teil sehr ernst. Wenn die Dorfbewohner eine Person als Hexer, der schwarze Magie betreibt identifiziert haben, fahren sie mit ihm aufs offene Meer hinaus. Sein Kopf wird mehrmals unter Wasser gedrückt, aschließend wird er verstoßen. Kehrt er zurück, droht ihm der Tod. Ich habe hier schnell gelernt, dass man besser nur das glaubt, was man mit den eigenen Augen sieht. Crizi Siknis habe ich mit eigenen Augen gesehen. Viele ungeklärte Fragen bleiben – ebenso wie das flaue Gefühl im Magen, als am Ende der Konferenz unser Boot in Richtung Puerto Cabezas in See sticht.
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