Nicaragua – meine neue Heimat für die nächsten zwölf Monate. Wie nicht anders zu erwarten, es ist anders als zuhause. Aber es ist doch immer ein bisschen anders, als man erwartet. Das Anderssein schlägt mir schon beim Aussteigen aus dem Flugzeug in Costa Rica in Form einer Schwüle ins Gesicht, die alles zu erdrücken scheint. An der Grenze dann der erste Kontakt mit der nicaraguanischen Kultur. Während wir darauf warten, die Grenzkontrolle zu passieren und der drückenden Hitze in den kühlen Bus entfliehen zu dürfen, versuchen alle möglichen Leute, uns etwas zu verkaufen. Typisch Nicaragua: Hängematten, Obst, raubkopierte Filme, frittiertes Essen. Solche Dinge kann man eigentlich immer und überall kaufen. Von dem Essen lasse ich lieber erst mal die Finger, der europäische Magen verträgt die kulinarische Umstellung auch ohne die Aufnahme von Nahrung zweifelhafter Qualität nur schwer.
Dann die ersten Meter auf nicaraguanischem Boden. Blühende Landschaften wechseln sich ab mit verdreckten Vorstädten und Bretterverschlägen, majestätische Gebirge mit Plakaten und Wandmalereien von US-amerikanischen Softdrinkherstellern. Überall liegt viel Müll herum, öffentliche Abfalleimer gibt es kaum.
Man kann dem Land seine Armut deutlich ansehen, gezeichnet von seiner traurigen Geschichte. Von der Kolonialherrschaft in die jahrzehntelange Dynastiendiktatur, von der sandinistischen Revolution in den Krieg. Die Hauptstadt Managua durch das große Erdbeben von 1972 zerstört, das Land von Vulkanausbrüchen und Unwettern nicht verschont. Unlängst heimgesucht vom Hurrikan „Felix“, die Atlantikküste, wo auch mein zukünftiger Einsatzort Puerto Cabezas liegt, durch den Sturm verwüstet. „Nur“ vier Menschen sind in Puerto selbst umgekommen, berichtet mein zukünftiger Chef bei IDSIM, dem Institut für soziale Entwicklung der Iglesia Morava am Telefon, nicht ohne eine Spur Erleichterung. Die Lage in den umliegenden Dörfern, die nur schwer zu erreichen sind, ist schlimmer. Viel schlimmer. Wie schlimm, das kann auch jetzt noch keiner so genau sagen. Wir, meine Mitfreiwillige Swantje und ich, befinden uns zum Zeitpunkt des Unwetters im Nordwesten des Landes, vom Sturm weitgehend verschont.
Hier, in der mittelgroßen Stadt Estelí, bessern wir unsere Spanischkenntnisse auf, bevor es auf nach Puerto geht. Armut, Dreck und Coca Cola – und trotzdem ist es sehr schön hier. Klar, am Anfang ist es ein riesiger Kulturschock – aber das gehört dazu, sonst war man gar nicht weg von zuhause. Und wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, dass die Zurufe „Chele!“, was soviel bedeutet wie „Weißer“, eigentlich gar nicht böse gemeint sind, sondern zur Kultur dazugehören wie die lautstarke musikalische Beschallung an jeder Ecke, dann kann man erkennen, dass die Leute hier eigentlich so offen und herzlich sind, wie man es von zuhause nur von Freunden kennt. Und selbst die schwer bewaffneten Polizisten im Bankviertel erwidern einen freundlichen Gruß fast immer mit einem Lächeln.
Hier im beschaulichen Estelí kann man von jedem Punkt der Stadt aus die umliegenden Gebirge sehen – und fühlt sich niemals verloren. Umgeben von Palmen und Bananenbäumen fühlt man sich hier manchmal sogar ein bisschen wie im Paradies. Ja, es ist anders hier – nur, es zu beschreiben, das ist nicht einfach.
Suscribirse a:
Enviar comentarios (Atom)
No hay comentarios:
Publicar un comentario